15. Mai 2025

Ein Sechstel der Bevölkerung ist arm – Eine radikale Kursänderung ist nötig

Armutsbericht 2025
Armutsbericht 2025

Fast jede sechste Person in Deutschland, rund 13 Millionen Menschen, gelten als „arm“. Es sind 15,5 Prozent der Bevölkerung, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Konkret bedeutet das: Wer ein Einkommen von preisbereinigt weniger als 921 Euro hat, gilt als arm. Das geht aus dem am 29. April veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hervor (vgl. Der Paritätische). Bei Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit liegt die Quote bei 12,8 Prozent, bei in der Bundesrepublik lebenden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit hingegen bei 30 Prozent. (Der Tagesspiegel)

In einem Land, das nach den USA und China die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat, also eines die reichsten Länder ist, sind solche Zahlen ein Skandal.

Es gibt viele Gründe für die Armut in diesem reichen Land. Der wichtigste: Das kapitalistische Wirtschafts- und Politiksystem beruht auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Obwohl Beschäftigte den Reichtum erarbeiten und produzieren, kommen die meisten mit ihrem Lohn kaum über die Runden.

Verantwortlich für die Armut sind außerdem der Staat und die bürgerlichen Parteien. Zu nennen wäre da u.a. eine Steuerpolitik, die immer wieder die Reichen begünstigt und sie noch reicher werden lässt. Oder eine Sozialpolitik, die diesen Namen nicht mehr verdient, weil eine gnadenlose Politik gegen Erwerbslose und arme Menschen betrieben wird. Oder der unter den Regierungen der SPD/CDU/CSU und Grünen in den letzten Jahren betriebene „Umbau“ des Rentensystems und der Rentenformel gegen die Interessen der Beschäftigten, Rentnerinnen und Rentner. Die Liste könnte fortgesetzt werden.

Arm trotz Arbeit. Grafik: Der Paritätische
Arm trotz Arbeit. Grafik: Der Paritätische

Doch Armut ist natürlich nicht zu trennen von der Entwicklung der Löhne und Gehälter. Die Löhne hinken in den letzten drei Dekaden in Deutschland der Inflation hinterher, was auch massive Auswirkungen auf die Renten zur Folge hat. Der DGB und die Einzelgewerkschaften konnten die Erosion der Tarifbindung nicht stoppen, nur noch 49 Prozent der 45,7 Millionen Beschäftigten in Deutschland waren im Jahr 2024 in einem tarifgebundenen Betrieb beschäftigt.

Es wäre also höchste Zeit, dass die deutschen Gewerkschaften Bilanz ziehen und ihre bisherigen Strategien schonungslos hinterfragen. Wie können wir wieder dazu kommen, spürbare Reallohnssteigerungen durchzusetzen? Wie können wir wieder zu Organisationen werden, die von den arbeitenden Menschen als ihre politischen und wirtschaftlichen Interessenvertretungen wahrgenommen werden? Wie setzen wir kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für und mit Beschäftigten durch? Wie kommen wir aus der Krise der Gewerkschaften raus?

Tatsächlich jedoch biedert sich insbesondere der DGB immer wieder den Regierungsparteien an, allen voran der SPD und den Grünen. Das ist mit einer ehemaligen SPD-Generalsekretärin an der Spitze des DGB auch nicht sonderlich überraschend. Die Kapitalisten und deren politische Lobbyisten setzten ein Projekt nachdem anderen gegen die lohnabhängig Beschäftigten durch, während die Gewerkschaften nicht dagegen mobilisieren. Stattdessen wird darauf gesetzt, dass die Regierung etwas für die Arbeitenden tut, etwa durch eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro, weil die eigenen Vertreterinnen und Vertreter in der Mindestlohnkommission nicht mehr als Staffage sind.

Gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters haben der DGB und die Einzelgewerkschaften kaum etwas Sichtbares unternommen. Gegen die Zerschlagung des „Sozialstaates“ gab es nicht viel mehr als wortreiche Erklärungen, aber keine spürbaren Kampfmaßnahmen. Zuletzt lobten der DGB, ver.di und IG Metall das sogenannte „Infrastruktur-Sondervermögen“, durch das die Regierung ermächtigt wurde, Milliarden Euro an Schulden für Aufrüstung und Krieg aufzunehmen. Machen wir uns nichts vor: Diese Kriegskredite werden weitestgehend zu Lasten der Sozialleistungen aufgenommen und finanziert und richten sich somit direkt gegen Interessen der Beschäftigten, der Erwerbslosen und gegen die Rentnerinnen und Rentner.

Es ist Zeit für einen radikalen Kurswechsel. Die Gewerkschaften müssen endlich wieder die Interessen der abhängig Beschäftigten in das Zentrum ihres Wirkens stellen und dafür wieder zu der gesellschaftlichen Opposition werden, die sie in einer kapitalistischen Klassengesellschaft sein müssen.

Orhan Akman