Es war kein Geschenk und kein Liebesbrief, den ich am vergangenen Freitag bei der Post abholen musste. Es war ein Einschreiben meiner Gewerkschaft ver.di, mit dem mir drei Abmahnungen wegen „arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen“ zugestellt wurden. Alle drei werden mit Veröffentlichungen in der Presse und auf Social Media begründet. In den Abmahnungen wird mir „Illoyalität“ sowie die „Gefährdung der Geschlossenheit von ver.di als Gewerkschaft im öffentlichen Ansehen“ vorgeworfen.
Um es vorweg zu sagen: Diese Vorwürfe weise ich vehement von mir!
Konkret geht es in den ver.di-Abmahnungen um ein Posting, das ich auf Facebook veröffentlicht habe, einen Artikel der Tageszeitung „junge Welt“ – in dem ich zitiert werde – und ein Interview, das ich der Wochenzeitung „Unsere Zeit“ gegeben habe. ver.di unterstellt mir nun, ich hätte es mir in diesen Veröffentlichungen angemaßt, Erklärungen als „ver.di-Vertreter“ abzugeben. Das ist Unsinn! Ich bin in meiner Freizeit (!) als Privatperson, als ver.di-Mitglied (!) und als Kandidat für den ver.di-Bundesvorstand aufgetreten. Oder will mir der ver.di-Bundesvorstand etwa das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verweigern und mir verbieten, mich als Person zu tarif- und gewerkschaftspolitischen Themen zu äußern? Und was ist dann mit Paragraph 10 unserer ver.di-Satzung, in der es heißt: „Jedes Mitglied hat das Recht, seine Meinung in allen gewerkschaftlichen Angelegenheiten frei zu äußern.“?
Auch inhaltlich sind die Abmahnungen nicht gerechtfertigt und nicht begründet. Obwohl mir ver.di im vergangenen Jahr mehrfach gekündigt hat – zu unrecht, wie das Arbeitsgericht Berlin im Dezember 2022 festgestellt hat – und mich mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen überhäuft, werbe ich in der Öffentlichkeit und auf Veranstaltungen immer wieder dafür, dass sich Beschäftigte in ver.di organisieren. Als überzeugter Gewerkschafter stehe ich hinter den Grundwerten unserer Organisation!
Wird mein Facebook-Account überwacht?
Eine Abmahnung wird mit einem Posting auf meinem privaten (!) Facebook-Account www.facebook.com/orhan.akman.102 begründet. Dort äußere ich mich prinzipiell nicht als Vertreter der Gewerkschaft, es steht dort nicht einmal, dass ich bei ver.di beschäftigt bin! In der Veröffentlichung vom 3. Februar beziehe ich mich auf einen Artikel, der im Dezember im Magazin „Handel“, der Fachbereichs-Beilage zur ver.di-Mitgliederzeitung „Publik“, veröffentlicht wurde (und hier öffentlich abrufbar ist). In dem Beitrag wird über einen Tarifabschluss bei Edeka Nord berichtet, laut dem die Löhne an einem Standort des größten deutschen Lebensmittelhändlers ab dem 1. Januar 2023 um magere 2,4 Prozent steigen sollen, plus rückwirkend um 1,2 Prozent zum November 2022. In meinem Post heißt es dazu: „Erneut frage ich hier als Gewerkschaftsmitglied von ver.di und Kandidat für den ver.di-Bundesvorstand: Was macht ver.di da für eine Tarifpolitik im Handel und in der Handelslogistik!?!“ (Vollständiger Post hier)
Warum wird sachliche Kritik an einem Tarifabschluss als Loyalitätsverletzung angesehen? Aus meiner Sicht gehört zu Loyalität auch, dass man Fehlentwicklungen unserer Gewerkschaft nicht wort- und tatenlos hinnimmt!
Was mir aber besondere Sorge macht: Der Abmahnung ist ein Screenshot beigefügt, der mein Posting zeigt und der laut der erkennbaren Zeitangabe gerade mal 40 Minuten nach der Veröffentlichung aufgenommen wurde! Das erweckt bei mir den Eindruck, dass ver.di als Arbeitgeberin meine Social-Media-Kanäle überwacht. Nur meine? Wenn das so ist, ist das mit den Grundwerten unserer Gewerkschaft als demokratischer Organisation unvereinbar!
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Beitrag hinweisen, der unter dem Titel „Was tun, wenn der Chef mitliest“ auf verdi.de erschienen ist. (https://www.verdi.de/themen/recht-datenschutz/++co++15368d04-e6ef-11e1-57c6-52540059119e) Darin heißt es: „Arbeitgeber schnüffeln in Profilen (…) Über die Kontrolle und Überwachung von sozialen Netzwerken versuchen Arbeitgeber zunehmend Beschäftigte in ihrem Sinne zu disziplinieren oder sogar loszuwerden.“ ver.di empfiehlt in diesem Artikel ausdrücklich: „Auch wenn im digitalen Zeitalter so mancher Arbeitgeber neu erwachte Kontrollfantasien hat: Auf das Recht der eigenen Meinung besinnen!“
Wie hält man es mit der Pressefreiheit?
Im Zusammenhang mit dem Vorgehen des ver.di-Bundesvorstandes gegen mich hat es in den vergangenen Monaten viele Medienveröffentlichungen gegeben (nachzulesen auf meiner Homepage in der „Presseschau“). Zwei dieser Publikationen sind jetzt herausgezogen worden, um mich abzumahnen. Ist es reiner Zufall, dass dafür gerade zwei klar linke Zeitungen herangezogen werden?
Der Wochenzeitung „Unsere Zeit“ habe ich ein Interview gegeben, das am 20. Januar 2023 unter der Überschrift „Eine Handvoll Konzerne bestimmt, was wir konsumieren“ erschienen ist (https://www.unsere-zeit.de/eine-handvoll-konzerne-bestimmt-was-wir-konsumieren-4775991/). Am 6. Januar 2023 erschien auf der Titelseite der Tageszeitung „junge Welt“ ein Artikel zu den Massenentlassungen bei Amazon (https://www.jungewelt.de/artikel/442197.arbeitskampf-amazon-legt-axt-an.html), in dem ich zitiert werde. In keinem der beiden Beiträge behaupte ich, ver.di-Sprecher oder -Vertreter zu sein, die Hinweise auf meine Person wurden von den Redaktionen formuliert. In beiden Beiträgen finden sich zudem ausdrückliche Hinweise darauf, dass ich mich jeweils als ver.di-Mitglied und Kandidat für den Bundesvorstand, nicht aber als offizieller Vertreter der Gewerkschaft, geäußert habe.
Sollten Gewerkschaftsmitglieder, die sich – ob privat oder offiziell – in den Medien zu arbeits- und tarifpolitischen Fragen äußern, künftig für das verantworten müssen, was die Redaktionen um ihre Aussagen herum stellen, hätte unsere Personalabteilung viel zu tun! Ist unser Vorsitzender Frank Werneke etwa schuld, wenn zum Beispiel in der „Bild“ gegen die Gewerkschaft gewettert wird: „Werneke lässt eiskalt gegen das Ferienglück der eigenen Leute streiken.“? Natürlich nicht!
Allerdings hinkt der Vergleich, denn die Beiträge in der „jungen Welt“ und der „Unsere Zeit“ sind eben nicht gegen ver.di gerichtet, im Gegenteil!
In dem UZ-Interview äußere ich meine Gedanken darüber, wie wir als Gewerkschaft wieder stärker werden können und spreche mich für eine nationale und internationale Tarifpolitik aus: „Wir müssen Wege finden, wie wir gemeinsam Tarifpolitik machen. Es sind die Konzerne des Globalen Nordens, die mit Handlangern aus dem Süden Mensch und Natur ausbeuten. Mittelfristig bin ich der festen Überzeugung, dass wir Tarifverträge entlang der Wertschöpfungsketten brauchen, damit wir den Konzernen einigermaßen etwas entgegensetzen können.“ Das zu sagen, soll verboten sein? Aus dem Interview eine Verletzung von Loyalitätspflichten abzuleiten, ist weit hergeholt.
In der „jungen Welt“ werden die geplanten Massenentlassungen bei Amazon thematisiert, wonach der Onlinekonzern 18.000 Stellen streichen möchte. Ich werde darin zitiert, wohl auch, weil ich – wie es im redaktionellen Text heißt – bei ver.di bis zum Sommer vergangenen Jahres unter anderem für die Aktivitäten bei Amazon zuständig war. Ja, da steht „war“ und nicht „ist“!
Weiter werde ich in dem Beitrag mit den Worten zitiert: „Das zeigt, wie wichtig organisierte gewerkschaftliche Gegenwehr und die Solidarität der Beschäftigten untereinander über alle Grenzen hinweg ist.“ Die erfolgreiche Streikbewegung bei Amazon sei die richtige Antwort auf die arbeiterfeindlichen Machenschaften des Managements. Und das soll ein Verstoß gegen meine arbeitsvertraglichen Pflichten sein? Aus solchen Positionen eine „Verletzung meiner Loyalitätspflicht“ abzuleiten, ist abenteuerlich.
Es ist klar, dass ich mich auch gegen diese Abmahnungen gerichtlich und politisch wehren werde. Aber ich betone nochmal: Wir könnten den Konflikt längst vom Tisch haben, wenn sich der ver.di-Bundesvorstand, endlich zu Gesprächen bereiterklären würde. Schließlich befindet sich unsere Gewerkschaft in einer tiefgreifenden Krise, der wir mit vereinter Kraft entgegenwirken müssen und sollten. Ich bin dazu bereit, gerne auch mit externer Vermittlung. Der Ball liegt bei euch!