Gastkommentar von Orhan Akman in der Tageszeitung junge Welt, 26. November 2022
Tausende Beschäftigte des Onlineriesen Amazon haben aus Anlass des »Black Friday« in dieser Woche erneut die Arbeit niedergelegt. Mit zehn Versandzentren gleichzeitig war es am Freitag der bislang größte Streiktag in dem Arbeitskampf, dessen Beginn sich im Mai zum zehnten Mal jährt. Obwohl Amazon sich noch immer weigert, mit der Gewerkschaft Verdi Arbeitsbedingungen und Löhne via Tarifvertrag rechtsverbindlich zu regeln, hat der Arbeitskampf wesentliche Verbesserungen für die Beschäftigten gebracht. Doch es geht nicht nur um die Löhne, um den Preis für die Ware Arbeitskraft. Für die Beschäftigten ist von zentraler Bedeutung, wie Digitalisierung, Automatisierung und technische Erneuerungen ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen und verändern. Der Einsatz digital-technischer Prozesse dient kaum dazu, dass die Arbeit leichter oder gesunder organisiert wird. Vielmehr wird die Taktung der Arbeitsschritte erhöht, steigt der Leistungsdruck, werden die Beschäftigten permanenter Kontrolle ausgesetzt und verlieren auf der anderen Seite die Autonomie über ihre eigene Tätigkeit.
Als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter müssen wir uns daher nicht nur um Entlohnung und Arbeitszeit kümmern, sondern deutlich mehr um die Gestaltung der digitalen Prozesse in der Arbeitswelt – auch durch Tarifverträge in Bereichen, die bisher nicht auf diese Weise geregelt wurden. Der Digitalisierungstarifvertrag, den wir beim Modehändler H&M durchsetzen konnten, ist ein gutes Beispiel dafür. Neue Technologien, künstliche Intelligenz usw. müssen die Arbeit für die Beschäftigten besser, leichter und gesünder machen, statt zu verschärfter Ausbeutung und mehr Stress und Hetze zu führen. Dazu gehört auch, dass die Mitbestimmung bereits beim Algorithmus anfängt und die digitalen Systeme keine »Blackbox« bleiben.
Wenn Beschäftigte nicht einmal mehr im Schlaf abschalten können, weil Arbeitsprozesse bei Amazon und Co. immer enger getaktet werden und keine Zeit für Verschnaufpausen und den Austausch mit Kollegen bleibt, ist das nicht hinnehmbar.
Für Verdi und die Gewerkschaften insgesamt muss daraus folgen, dass wir uns in der Auseinandersetzung mit den Großkonzernen nicht im Klein-Klein verlieren oder uns den Fesseln unternehmensfreundlicher Gesetze beugen dürfen. Dabei darf Vergesellschaftung kein Tabu sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass einzelne Konzerne mehr Macht haben als die ganze Bevölkerung und die Infrastruktur der digitalen Daseinsvorsorge kontrollieren. Der Kampf gegen die Übermacht von Amazon und Co. ist deshalb ein Kampf um die Verteidigung der Menschenrechte.
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