22. Dezember 2024

Kapitalismus, Krise und mögliche Ansätze zur Gegenwehr

Referat von Orhan Akman beim Kongress »Kapitalismus: Krise. Krieg« am 14. März 2009 in München

„Wissen Sie, was ein „Spring-ins-Feld-Teufel“ ist? In diesem Kritischen Jahrbuch erfahren Sie, was unser Bundesfinanzminister darunter versteht. Wir wurden – so wird Peer Steinbrück vom Handelsblatt zitiert – „ohne Vorankündigung“ von „Risiken aus neuartigen Finanzprodukten angegriffen“. Die Finanzkrise – ein Teufel, der unsere Regierung ohne Vorankündigung aus den USA heimgesucht hat? War da wirklich der Teufel im Spiel? War das wirklich überraschend?“
Quelle: Vorwort Kritisches Jahrbuch 2008/2009 von Wolfgang Lieb und Albrecht Müller

Ich zitiere:
Wer malt also den Teufel an die Wand oder andersrum gefragt wer hat auf Teufel komm raus diese Krise herbeigeführt?

Kurzer Rückblick:

Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und des sozialistischen Ostblocks verkündeten die Propagandisten des Kapitalismus von allen Dächern dieser Welt den „Sieg“ des Kapitalismus als einziges System. Der Kapitalismus sei das einzige System, was zukunftsfähig sei und würde der ganzen Menschheit Wohlstand bringen! Zudem wäre der Kapitalismus in der Lage, ohne Krisen zu bestehen und sich zu entwickeln. Kurzum: Der Kapitalismus sei ein ewige „soziale Ordnung“!

Einer der Wortführer des kapitalistischen Blocks, Francis Fukuyama, verkündete in einer sehr dreisten Art und Weise sogar das „Ende der Geschichte“ (vgl. Artikel und ein Buch mit diesem Titel (The End of History and the Last Man, 1992). Lächerlicherweise hat Fukuyama damit versucht, wie ein Wahrsager die kommenden geschichtlichen Entwicklungen vorherzusagen.

Was ist seit dem eigentlich passiert: Der Kapitalismus hat seitdem – also seit 1992- der Menschheit mehrere Krisen und Konflikte beschert. Erinnern wir uns nur an die Krisen von 1993, 1997, 2001, 2003 und nun seit über einem Jahr die weltweite Finanzmarktkrise, die längst die Realwirtschaft in ihren Sog gezogen hat! Neben den vielen Krisen hat der Kapitalismus seit Ende des Ostblocks zu mehreren Kriegen mit Tausenden von Toten, Verletzten und unendliches Elend geführt.

Die aktuellen Kriege im Mittleren und Nahen Osten (Afghanistan, Irak, Palästina, Kurdistan) zeigen das wahre Gesicht des Kapitalismus: Für Profit und Ressourcen wie Erdöl, Gas und andere Bodenschätze gehen die Kapitalisten und ihre Armeen über Leichen! Statt Wohlstand für die breiten Massen der Menschheit hat der Kapitalismus Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend für Millionen gebracht. Der Kapitalismus ist gescheitert!

Die kapitalistischen Krisen der letzten Jahre sowie die aktuelle Krise haben ihren Ursprung in der Zuspitzung der Widersprüche des Systems. Das kapitalistische System beruht bekanntlich auf der Anarchie der Produktion, Konkurrenz und vor allem dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung des Reichtums! Anders gesagt: Die Gewinne werden privatisiert während die Verluste sozialisiert werden. Insoweit ist die aktuelle Krise meines Erachtens kein Skandal, sondern fester Bestandteil des kapitalistischen Systems. Der eigentliche Skandal ist, dass man die Folgen der Krise zu sozialisieren versucht.

Ein gutes Beispiel für die Anarchie der Produktion bzw. der Überproduktion ist die Automobilindustrie: Bereits vor der großen Krise der Finanzmärkte in den USA hatten dort die drei großen Automobilhersteller General Motors, Chrysler und Ford Überkapazitäten und somit große Absatzschwierigkeiten. Also ist zumindest die Krise in dieser Branche nicht unbedingt die Folge der Finanzmarktkrise, sondern eine völlig „normale“ Erscheinung des Systems.

Die Debatte um die Gier der Manager ist „nur“ Verblendungstaktik

Das Kapital und vor allem das Finanzkapital hat es auf diktiert und die bürgerlichen Partien haben gesetzlich dafür den Weg  geebnet. Hier (rechts) Beispiele aus der Deregulierung des Finanzmarktes:

Deregulierung des Finanzmarktes
Meilensteine
1990, 1994, 1998, 2002
Finanzmarktförderungsgesetze
Abschaffung der Börsenumsatzsteuer, sukzessive Erweiterung der Anlagemöglichkeiten von Kapitalanlagegesellschaften
1998
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
Legalisierung von Aktienrückkäufen
2000
Steuerreform
Senkung der Körperschaftsteuer auf 25%, Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen
2003
Investmentmodernisierungsgesetz
Absenkung des vorgeschriebenen Anfangskapitals für Investment-Fonds, Zulassung von Hedge-Fonds
2007
Unternehmensteuerreform
Senkung der Körperschaftsteuer auf 15%, Abgeltungsteuer (25 %)
2007
Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
Befreiung von Körperschaft- und Gewerbesteuer für REITs
2007
Investmentänderungsgesetz
Aufhebung/Vereinfachung von Informationspflichten, Erweiterung der Anlagemöglichkeiten von Kapitalanlagegesellschaften –  weitere Reduzierung des vorgeschriebenen Anfangskapitals für Investment-Fonds


Quellen: Bundesministerium für Finanzen, Bundesgesetzblatt, IHK Köln; Zusammenstellung: IMK 2008
© Hans-Böckler-Stiftung 2008

Spätestens seit dem Zusammenbruch der kapitalistischen Finanzmärkte versuchen die Kapitalbesitzer und ihre Handlanger und Propagandisten in der Politik scheinheilig die Ursache des Problems den Menschen zu erklären. Um die Missstände des  Kapitalismus zu erklären, greifen die Vertreter des Kapitals gerne zum Wort „Gier“, um genau zu sein zur „Gier der Manager“. Schuld an der Krise sei nicht etwa die „gute Marktwirtschaft“, sondern die Profitgier einiger „verrückter und verantwortungsloser“ Finanzhaie und Banker. Dabei ist doch die Profitgier nur eine Erscheinung der „guten freien Marktwirtschaft“ und nicht die Ursache der Krise.

Karl Marx fasste dieses Phänomen in die Formel: »Geld (G)- Kauf von Ware (W)- Verkauf der Ware zwecks Geldzuwachs (G‘)« – also vereinfacht: »G – W- G‘«

Was versuchen also Merkel, Steinbrück, Köhler sowie der ganze Block der Kapitalisten? Sie versuchen nichts anderes als das kapitalistische System nach wie vor schön zu reden und vor allem die breiten Massen der Menschen zu verblenden. Merkel & Co. wollen nur die Ursache der Krise verdecken. Das ist doch der eigentliche Skandal!

Ansätze zur Gegenwehr der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen

Ideologische Auseinandersetzung mit Kapitalismus

Wir, damit meine ich Gewerkschaften, soziale Bewegungen und die progressiven Kräfte, müssen uns ideologisch mit dem Kapitalismus auseinandersetzen. Mit vernebelten Ansätzen haben vor allem die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten den Kapitalismus kaum in Frage gestellt, geschweige denn dieses System ernsthaft bekämpft. Entsprechend haben wir auch unsere Mitglieder politisch „erzogen“. Statt einer ideologischen Auseinandersetzung mit dem System, haben die Gewerkschaften sich durch die „Standortlüge“ sowie der „Sozialpartnerschaft“ – erinnern wir uns „nur“ an das „Bündnis für Arbeit“ – der Kapitalisten weitgehend einvernehmen lassen. Aus dieser Fessel müssen wir uns endlich befreien. Es reicht nicht, nur eine gerechte Verteilung des Vermögens zu verlangen – dies ist sicherlich sehr wichtig –, sondern wir sollten und müssen das System hinterfragen und auch unsere Antworten entwickeln. Denn solange wir das System nicht in Frage stellen, werden die wertevernichtenden kapitalistischen Krisen immer wieder kommen.

Unsere Teilantworten wie „soziale Gerechtigkeit“, „eine andere Welt ist möglich“, „ein soziales Europa“ usw. sind nicht ausreichend. Wir, als progressive Kräfte, müssen das System Kapitalismus gänzlich in Frage stellen. Ein System, welches den Menschen Armut, Elend, Ausbeutung und Kriege zufügt, kann und darf für uns nicht tragbar sein. Wir müssen unsere eigenen Alternativen zum Kapitalismus haben. Dabei sind die Namen der Alternativen (Sozialismus, Kommunismus, Volksdemokratie etc.) relativ egal. Es geht darum, ein Gesellschaftssystem zu schaffen, in dem nicht eine Hand voll von Kapitalbesitzern über alle geschaffenen Güter und Werte verfügen, während breite Massen der Menschen ausgebeutet werden bzw. in Armut leben. Insoweit müssen wir in der inhaltlichen Debatte wieder die Oberhand gewinnen und das wahre Gesicht des Kapitalismus den breiten Massen zeigen.

Schluss mit der Stellvertreterpolitik

In den 60er, 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts haben die Gewerkschaften als Apparat weitgehend Stellvertreterpolitik für ihre Mitglieder und eigentlich auch für die gesamte Klasse der lohnabhängig Beschäftigten gemacht.

Die Existenz des sozialistischen Ostblocks zwang die Kapitalklasse zu größeren Zugeständnissen in Bezug auf Lohn- und Gehaltserhöhungen aber auch vielen anderen sozialen Leistungen. Insoweit hatten die Gewerkschaften in Westeuropa – vor allem in Westdeutschland – von Haus aus einen Vorteil. Denn der Kapitalismus musste immer wieder beweisen, dass es den Beschäftigten unter dem System des Kapitalismus besser geht, als im sozialistischen Ostblock. Die Gewerkschaften Westeuropas haben diese günstige Situation auf der einen Seite genossen aber zugleich haben die gleichen Gewerkschaften die Sozialisten und den Kommunismus innerhalb der Gewerkschaften z.T. heftig bekämpft. Die ideologische Auseinandersetzung haben Gewerkschaften eher mit „Klassenfreunden“ wie Sozialisten oder Kommunisten geführt, statt diese mit dem Klassengegner zu führen! Statt einer tiefgreifenden ideologischen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus haben die meisten westeuropäischen Gewerkschaften eine „Sozialpartnerschaft“ mit dem Klassengegner gepflegt und darin die Erfüllung der Ziele der Klasse der abhängig Beschäftigten gesehen.

Die Sozialpartnerschaft mit dem Klassengegner war von Beginn an eines der ideologischen Angriffe auf die Interessen der abhängig Beschäftigten. Denn eine echte Partnerschaft setzt voraus, dass beide Partner- also Kapitalseite und abhängig Beschäftigte- gleichberechtigt von der Partnerschaft partizipieren! Das setzt jedoch voraus, dass der eine Partner den anderen nicht ausbeutet! Da der Kapitalismus ohne Ausbeutung nicht funktioniert, kann auch eine „Sozialpartnerschaft“ mit den Kapitalisten nicht für uns (aber gegen uns) funktionieren! Deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass Gewerkschaften zum „Ersatzreifen“ für den Kapitalismus verkommen!

Umso enttäuschter waren die gleichen Gewerkschaften, als nach dem Zusammenbruch die Kapitalseite einseitig ihre Maske „Sozialpartnerschaft“ fallen ließ und zum kapitalistischen Angriffsprogramm überging. Viele Gewerkschaften und ihre Funktionäre haben mehrere Jahre gebraucht, um diese Tatsache zu realisieren. Selbst heute erleben wir immer wieder, dass nicht wenige Gewerkschafter der Sozialpartnerschaft hinterherheulen!

Dieser Umstand hat unter anderem dazu geführt, dass die Gewerkschaftsapparate und die Gewerkschaftsfunktionäre in vielen Fällen für die lohnabhängig Beschäftigten aber vor allem für die Gewerkschaftsmitglieder „Stellvertreterpolitik“ gemacht haben. Ich meine, dass man die Gewerkschaften nicht in „Zigarettenautomaten“ umwandeln darf. Ein Zigarettenautomat funktioniert bekanntlich, in dem man oben 5 Mark (heute Euro) reinwirft und unten kommt dann die gewünschte Marke der Zigaretten raus. Gewerkschaften sind aber keine Automaten, wo oben der Mitgliedsbeitrag reinkommt und unten die entsprechende Lohnerhöhung, eine Arbeitszeitverkürzung oder andere soziale Leistungen rauskommen. Wir müssen die Gewerkschaften wieder als Kampforganisationen für die bereiten Massen der abhängig Beschäftigten definieren und entsprechend umgestalten. Dabei müssen wir die Ideologie einer „Servicegewerkschaft“ in den eigenen Reihen mit allen Mitteln bekämpfen.

Dies gelingt nur, wenn wir unseren Mitglieder zunehmend wieder in und an den gewerkschaftlichen Prozessen einbinden und beteiligen. Das Mitglied muss dabei erfahren, dass er/sie und die anderen Mitglieder die Gewerkschaft sind und nicht einige Funktionäre. Das Mitglied muss aber erfahren, dass es nicht ausreicht, monatlich „brav“ Mitgliedsbeitrag zu bezahlen und alles andere würde schon durch irgendjemand für ihn/sie geregelt. Von diesem Irrtum müssen wir uns und die Mitglieder befreien. Ich weiß aus eigener alltäglicher Gewerkschaftsarbeit, wie schwierig das ist. Das will ich gar nicht verheimlichen. Es fehlt ja nicht an guten Ansätzen und guten Aufrufen, die wir als Gewerkschaften haben. Die Arbeiter- und Angestelltenklasse geht jedoch nicht sofort auf die Barrikaden, wenn die Gewerkschaftsapparate einen schönen Aufruf z.B. gegen Sozialkahlschlag machen.

Trotz allem führt meines Erachtens kein Weg an der beteiligungsorientierten Gewerkschaftsarbeit vorbei. Dabei müssen wir als Gewerkschafter genau zuhören und lernen, was die Themen der Belegschaften sind. So spielt nicht immer eine Gehaltserhöhung die vordergründige Rolle in einer betrieblichen Auseinandersetzung. Ein Beispiel hierfür möchte ich aus eigener Praxis darstellen.

In einer großen Modekette haben wir den tariflosen Zustand angeprangert und die Kapitalseite zum Anerkennungstarifvertrag aufgefordert. Das lehnte das Unternehmen ab. Alleine mit der Forderung nach einer tariflichen Entlohnung und der damit  verbundenen Gehaltserhöhung hätten wir die Auseinandersetzung in diesem Betrieb nicht gewonnen. Denn das eigentliche Thema und die große Sorge der Belegschaft dieser Modekette war nicht vorrangig die Tarifbindung, sondern die hohe Anzahl der befristeten Arbeitsverträge. Nach intensiven Diskussionen und in einer lang angelegten Druckkampagne haben wir neben der Tarifbindung die Begrenzung der Befristungen zum Schwerpunkt der Auseinandersetzung gemacht. Und tatsächlich konnten wir mit der Forderung nach Begrenzung der befristeten Arbeitsverträge den „Nerv“ der Belegschaft treffen und somit die Kapitalseite in diesem Unternehmen zum Einlenken zwingen. Mit dieser Forderung konnten wir etwa 12 Monate eine größere Unruhe verbunden mit Aktionen und Streiks im Betrieb organisieren. Ergebnis: Die Kapitalseite hat in einer Gesamtzusage den Tarifvertrag anerkannt. Der wichtigste Erfolg war jedoch, dass in diesem Betrieb die Geschäftsleitung einen Arbeitsvertrag maximal bis 12 Monaten befristen darf und spätestens einen Monat vor Ablauf die Betroffenen informieren muss, ob der Vertrag auf unbefristete Zeit übernommen wird oder nicht.

Die Arbeitsproduktivität hat sich in Deutschland von 1991 bis 2006 um 32,4 % erhöht. Das bedeutet, dass sich die selbe Menge an Gütern und Dienstleistungen wie 1991 15 Jahre später mit ungefähr einem Viertel weniger Arbeitsstunden herstellen ließe. Quelle: isw-Report Nr. 57, September 2008

Arbeitszeitverkürzung statt Kurzarbeit

Demnach könnte man eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich sofort umsetzen. Doch statt  Arbeitszeitverkürzung wurde in den letzten Jahren in vielen Betrieben und Branchen die Wochenarbeitszeit erhöht. Ausgerechnet in der Hochkonjunkturphase des Kapitalismus haben Gewerkschaften in Deutschland Reallohnverluste und  Arbeitszeitverlängerungen mehr oder weniger hingenommen. Auch hierfür liegt meines Erachtens der Grund in der ideologischen Vernebelung innerhalb der Gewerkschaften!

In der aktuellen Krise erleben wir eine andere Hinhaltetaktik: Die Politiker und Kapitalisten schwärmen gerade, wie toll das Instrument der Kurzarbeit sei. Dabei löst die Kurzarbeit weder das Problem der Krise noch die Arbeitslosigkeit. Mit Kurzarbeit verschiebt man lediglich das Problem mehr oder weniger auf die lange Bank. Statt das Problem auf die lange Bank zu schieben, sind dringend konkrete Schritte notwendig. Ein Instrument gegen die steigenden Arbeitslosenzahlen ist, die Arbeit gerechter zu verteilen. Dazu ist eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit nicht nur angebracht, sondern zwingend notwendig.

Zahl der Minijobber in Deutschland bleibt konstant


Die Zahl der Minijobber in Deutschland ist im ersten Quartal dieses Jahres (Stichtag: 31. März 2008) mit knapp 6,7 Millionen nahezu konstant geblieben. Quelle: Minijob-Zentrale

  • Gegen prekäre Arbeitsverhältnisse – Kampf für Mindestlohn

In Deutschland arbeiteten 2007 über 7,68 Millionen Menschen zu Niedriglöhnen, sie sind arm trotz Arbeit. Das sind laut der Hans-Böckler-Stiftung (vgl. Böcklerimpuls 5/2008) 22,6 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland! Vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. „Jede Arbeit ist besser als keine“ – mit diesem Motto hat vor allem die SPD die Ausweitung des Niedriglohnsektors systematisch gefördert. Mit 70 Prozent sind vor allem die Frauen Leidtragende des Niedriglohnsektors.

Leiharbeiter und befristet Beschäftigte tragen hohe Arbeitsmarkt-Risiken Mehr als ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist atypisch beschäftigt – auf befristeten Stellen, als Leiharbeitnehmer und vor allem in Teilzeit. Die Beschäftigung jenseits der klassischen festen Vollzeitstelle, dem Normalarbeitsverhältnis“, wächst seit Jahren. Und: Sie ist weiblich. 57 Prozent der Frauen, aber nur 17 Prozent der Männer gehören zu den „Atypischen“, haben Hartmut Seifert und Wolfram Brehmer ermittelt. Quelle: http://womblog.de/2009/02/19/leiharbeiter-und-befristet-beschftigte-tragen-hohe-arbeitsmarkt-

Arm trotz Arbeit ist  mittlerweile kein seltenes Phänomen. 1,3 Mio. Menschen müssen in Deutschland zusätzlich zu ihrem Lohn Hartz-IV-Leistungen bekommen, weil ihre Löhne nicht zum Leben reichen. Anspruch auf diese Leistungen haben insgesamt mehr als drei Millionen Menschen. Der Staat subventioniert also schlechte Löhne. Somit hat Deutschland den höchsten Niedriglohnanteil unter den europäischen Ländern.

Einige Fakten:

  • 5,5 Mio. Arbeitnehmer erhalten weniger als 7,50 Euro brutto in der Stunde
  • 1,9 Mio. Arbeitnehmer erhalten weniger als 5,00 Euro brutto in der Stunde

Unter diesen Umständen ist ein branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn dringend und zwingend notwendig. Da reicht es nicht, mit Lippenbekenntnissen das Endsendegesetz nur auf bestimmte Branchen auszudehnen. Von daher müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften das Thema Mindestlohn forcieren.

Im Einzelhandel steigt die Zahl der geringfügig Beschäftigten immer weiter an, auf mittlerweile 960.000. Das  Normalarbeitsverhältnis wird zunehmend von unsicheren Arbeitsverhältnissen verdrängt. Vor allem unter Führung der SPD und mit Hilfe von Die Grünen wurden Arbeitsmarktgesetze erheblich verschlechtert. Leiharbeit, Minijobs und Befristungen sind massenhaft zur neuen Realität geworden. Neben der steigenden Anzahl von Minijobs setzten die Kapitalbesitzer unter anderem mit befristeten Arbeitsverhältnissen die Beschäftigten unter Druck.

Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen verdienen im Vergleich zu Festangestellten, die die gleiche Arbeit machen, bis zu 50 Prozent weniger. SPD und Die Grünen haben das mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 möglich gemacht. Auf einer Pressekonferenz am 19. September 2008 beklagt der DGB: „Gleichzeitig stieg die Zahl der beschäftigten Zeitarbeitnehmer 1996 von 170.000 auf annähernd 731.100 im Jahr 2007 an.“

Jede zweite Neueinstellung befristet

In vielen Branchen sind befristete Verträge üblich. Der öffentliche Dienst umgeht damit die faktische Unkündbarkeit seiner Mitarbeiter. 43 Prozent der 2006 abgeschlossenen Verträge waren zeitlich begrenzt, berichtete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „IAB-Forum“. Im Jahr 2001 hatte der Anteil der Befristungen demnach dagegen erst bei 32 Prozent gelegen. Quelle: http://www.focus.de



Von dieser dramatischen Arbeitsmarktpolitik sind vor allem Frauen betroffen.

Rücknahme der Hartz-Gesetze und weg mit Ein-Euro-Jobs

Ein wesentlicher Verursacher dieser Missstände ist die Agenda-2010-Politik von Schröder, die viele Menschen in Armut und Elend gestürzt hat. Dabei ist das Elend nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch. Diese Politik ist menschenverachtend und hat viele Menschen entwürdigt. Die Agenda 2010 ist meines Erachtens eine knallharte Menschenrechtsverletzung. Vor allem die Einführung der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“ ist ein Frontalangriff auf die erkämpften Menschenrechte! Alleine in München gibt es derzeit etwa 1.400 Ein-Euro-Jobs, davon sind 178 Menschen in der Landeshauptstadt München gezwungen für einen Euro Stundenlohn zu arbeiten!

Eine unserer Forderungen muss deshalb die Abschaffung der Hartz-Gesetze sein. Weiterhin dürfen wir uns nicht einfach anschauen, dass Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften in der Hartz-Kommission sitzen. In der im Jahr 2002 ins Leben gerufenen „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ saßen als Alibi unter anderem von ver.di Isolde Kunkel-Weber (immer noch Bundesvorstandsmitglied der ver.di) und von der IG Metall der NRW-Bezirksleiter Harald Schartau, der mittlerweile Arbeitsdirektor der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg geworden ist!

EU-Vergleich: Frauen verdienen ein Viertel weniger als Männer Frauen werden in Deutschland nach wie vor deutlich schlechter bezahlt als Männer. Laut einer aktuellen EU-Statistik liegt das Lohngefälle bei rund 23 Prozent. Damit rangiert Deutschland weit über dem europäischen Durchschnitt. Kritisch bewertet die EU auch die hohe Teilzeitquote – und fordert nun Gegenmaßnahmen. Quelle: Die WELT vom 23.2.2009
Zehn Jahre Regierungsverantwortung der „modernen“ SPD – Eine Bilanz
Von der SPD-Losung „Fördern und Fordern“ ist nur das Fordern übrig geblieben. Wer keinen Arbeitsplatz hat, wird des persönlichen Versagens angeklagt. Und anstatt den Arbeitslosen richtige Arbeitsplätze anzubieten, werden diese mit 1-Euro-Jobs abgespeist. Auf diese Weise verschwinden fast 300.000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik. Das ist unredlich.
DIE LINKE im Bundestag, Oktober 2008

Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen Seite als Gewerkschaften die Hartz-Gesetze ablehnen aber auf der anderen Seite in deren Kommission sitzen!

Stärkung der Inlandsnachfrage = Kräftigte Lohn- und Gehaltserhöhungen

Rekommunalisierung und Reverstaatlichung

Jahrelang haben die Kapitalisten und ihre politischen Handlanger den sogenannten „schlanken Staat“ propagiert. Man brauche den Staat nur für die Sicherheit und Verwaltung, so die Propaganda. Aus der Wirtschaft und den wirtschaftlichen Tätigkeiten solle der Staat sich raushalten. Und so wurden Stück für Stück staatliche und kommunale Unternehmen privatisiert: Einige Beispiel aus der jüngsten Geschichte: Telekom, Post, Postbank, Energie, Verkehr, Wasser, Krankenhäuser – ja sogar die Kanalisation einiger Städte in Deutschland usw. usw. wurden veräußert. Die Resultate kennen wir: Oft Massenentlassungen, Kürzungen der Leistungen bei den Beschäftigten, Dienstleistungen wurden massiv verteuert und verschlechtert etc.

Das war und kann nicht der richtige Weg sein. Wir können und dürfen nicht zu lassen, dass alles – also auch die Grundversorgung der Menschen – der Profitgier der Kapitalbesitzer unterworfen wird. Deswegen ist eine neue Debatte notwendig. Wir müssen ernsthaft die Re-Kommunalisierung und Re-Verstaatlichung fordern und uns dafür stark machen.

Die Zahl derer wächst, die im Alter trotz lebenslanger Einzahlungen nur eine Armutsrente erhalten. Eine besonders entwürdigende Zumutung. In den letzten zehn Jahren sind außerdem rund 500 Milliarden Euro aufgrund ungenügender Steigerung der Arbeitseinkommen der Kapitalseite zusätzlich zugeflossen. Damit sind allein in diesem Zeitraum rund eine Billion Euro von unten nach oben umverteilt worden; eine Art Enteignung der arbeitenden Menschen. Ein sozial- politischer Skandal. Aus: Konzept Steuergerechtigkeit, Broschüre von ver.di, Januar 2009

Rente mit 67 muss weg!

Die zunehmende Ausweitung unsicherer, schlecht bezahlter und prekärer Beschäftigungsverhältnisse führt im Alter zu weniger Rente. Die Zahl der Menschen wächst, die im Alter trotz lebenslanger Einzahlungen nur eine Armutsrente erhalten.

Deutschland hat mittlerweile eines der niedrigsten Rentenniveaus in Europa. In den vergangenen Jahren wurden vor allem die Rentnerinnen und Rentner vom Aufschwung noch stärker abgekoppelt als die Beschäftigten. Von 2004 bis 2006 gab es Nullrunden. Statt Rentenerhöhungen mussten Rentnerinnen und Rentner erhöhte Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung leisten. Und mit der Erhöhung des Rentenalters mit 67 werden die Renten noch weiter sinken. Deswegen muss die Rente mit 67 weg. Wir brauchen die Rente mit 65 sowie eine armutsfeste Mindestrente. Die Menschen haben ein Recht mit und in Würde alt zu werden.

Wir müssen mit aller Kraft die Kürzungen bei den Sozialleistungen und Sozialausgaben bekämpfen!
Erwerbslose, Menschen im Niedriglohnsektor, Asylbewerber/innen usw. wurden von dieser knallharten Politik am härtesten getroffen. Deswegen dürfen wir es nicht zulassen, dass diese Menschen wieder und wieder mit Kürzungen entwürdigt werden.
Die Steuerpolitik der Bundesrepublik ist ein „sozial-politischer Skandal“. Dieser Skandal muss beendet werden. Hierzu ist es dringend notwendig, die Vermögenssteuer wiedereinzuführen sowie den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Desweiteren muss die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 19 Prozent wieder rückgängig gemacht werden.
Schluss mit der Kriegspolitik
Kapitalismus bedeutet im äußersten Fall immer Krieg. Genügend aktuelle Beispiele zeigen uns dies. Wir abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner/innen, Schüler/innen Studenten/innen haben kein Interesse an Kriegen. Wir wollen eine friedliche Welt, in der alle Völker friedlich und solidarisch miteinander leben können. Wer Kriege verhindern will, der/die muss mit helfen, dass der Kapitalismus baldmöglichst Geschichte wird.
Fazit:
Wir müssen uns aus den ideologischen Fesseln des Systems befreien und den Kapitalismus gänzlich in Frage stellen.  Standortpolitik und Sozialpartnerschaft dienen nur der Kapitalseite, also sind diese politischen Ansätze arbeitnehmerfeindlich.
Der Name ist relativ egal, aber wir müssen viel intensiver über alternative Gesellschaftsformen nachdenken und diese auch entwickeln. Hierzu haben wir genügend Beispiele aus der jüngsten Geschichte.
PDF-Download: kkk-20090314-oa