17. September 2025

Buchempfehlung: „Mut zum Unmut“

Im Bonner Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger ist jetzt das Buch „Mut zum Unmut – Eine Anleitung zur politischen Widerspenstigkeit“ von Matthias Meisner und Paul Starzmann erschienen. In der Verlagsankündigung heißt es dazu:

„Es gibt eine gute Kraft der Renitenz! Und wir brauchen sie gerade jetzt, wo negative Nachrichten und Resignation alles zu dominieren scheinen. Dieses Buch hat einen erfrischenden Ansatz: Es plädiert dafür, aktiv zu werden, die Gleichgültigkeit abzulegen, »Nein!« zu sagen, anzuecken – im Job, auf der Straße und in der Politik. Die Autoren finden dafür viele prominente Beispiele von Menschen, die unbequem sind, aufbegehren und ihre Finger absichtlich in Wunden legen wie Petra Kelly, Kevin Kühnert, Werner Schulz, Marco Wanderwitz, Kristina Hänel, Anne Wizorek, Marie von Kuck, Heidi Reichinnek u. v. a.

»Quertreiber« haben bei uns keinen guten Ruf. Überall wird Anpassung verlangt. Die Autoren drehen den Spieß um. Sie zeigen anhand konkreter Fälle, warum es gefährlich ist, wenn niemand mehr den Mut hat, »Nein!« zu sagen, und wie konstruktiver Ungehorsam geht. Sie rufen dazu auf, die Renitenz nicht den Rechten zu überlassen. Widerstand ja, aber fröhlich, nicht verbittert, fair, nicht fies! Eine Mischung aus Ratgeber, politischem Sachbuch und Streitschrift – mit Inspirationen für alle, die unzufrieden sind mit den aktuellen Zuständen und die glauben, dass wir es besser können.“

Ich bedanke mich bei den Autoren Matthias Meisner und Paul Starzmann ganz herzlich für dieses spannendes Buch, an dem ich mit einem kleinen Beitrag mitwirken durfte. Gerade in diesen Zeiten, wo sich viele anpassen und fügen, muss man den Mut zum „Nein“ sagen an den Tag legen. Dem „weiter so“ oder „wir haben das schon immer so gemacht“ muss man die Stirn bieten und zeigen, es geht auch anders!

Wenn klar ist, dass es in die falsche Richtung geht, muss man rebellieren und konstruktiv, aber mit klarer Haltung zeigen, dass es Alternativen gibt. Gegen Ausbeutung, und Unterdrückung aber auch gegen Militarisierung und Krieg ebenso wie gegen die aktuelle Politik zu Gunsten einer reichen Elite und gegen die lohnanhängigen Beschäftigten und Menschen mit geringem Einkommen, Flüchtlinge und/oder Migrant*innen. Diese Stimme müssen wir überall erheben; auf der Straße genauso wie im Betrieb, in den Parteien genauso wie in den demokratischen Organisationen, aber vor allem in unseren Gewerkschaften. Denn „Sich fügen heißt lügen“ urteilte einst berechtigterweise der Schriftsteller Erich Mühsam in seinem Gedicht „Der Gefangene“.

Daher kann ich diese Lektüre und Anleitung allen Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten, Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV), Schwerbehindertenvertretungen empfehlen. Im Übrigen kann man sicherlich mit den beiden Autoren auch Buchvorstellungen, Tagungen und/oder Schulungen, aber sicherlich auch andere Aktivitäten zum Thema „Renitenz“ und „Widerspenstigkeit“ organisieren. Das Buch (256 Seiten, auch als eBook) ist für 22,- Euro erhältlich (ISBN 978-3-8012-0707-6).

Mit freundlicher Genehmigung der Autoren dokumentieren ich nachstehend einige Auszüge aus dem Kapitel „Streik“, in dem auch ich zu Wort kommen durfte:

»Akmans Traum ist eine Neuaufstellung der Gewerkschaft. Er wünscht sich eine radikale Verkleinerung des Funktionärsapparats, die finanziellen Mittel würde er lieber in die Basisarbeit stecken, in Schulungen für Beschäftigte etwa. „Von den rund 3.400 Beschäftigten bei Verdi haben wir über 560 hauptamtliche Beschäftigte in der Verdi-Bundesverwaltung“, sagt er. „Wozu brauchen wir einen solchen Wasserkopf?“

Er will die Mitglieder radikalisieren, die Ehrenamtlichen in den Betrieben und Dienststellen stärken, sie fit machen für die Arbeitskämpfe der Zukunft. „Die Gewerkschaften als Schule der Arbeiterbewegung sind mittlerweile etwas verstaubt, aber wir brauchen sie dringend und müssen sie neu aufstellen“, sagt er. Der bekennende Marxist sieht in den Gewerkschaften einen „Rechtsruck“, der zu einer „Entmündigung“ der Verdi-Mitglieder geführt habe. Zu oft ruhe man sich auf dem aus, was er das „Zigarettenautomatprinzip“ nennt: „Oben steckst du ein paar Euro an Mitgliedsbeiträgen rein und unten kommt dann die Lohnerhöhung raus. Aber so läuft es nun mal nicht.“ Deshalb müsse man vermehrt rausgehen in die Betriebe, den Menschen vor Ort zuhören. „An der Basis weiß man am besten, wo es hapert, aber auch, wie es besser funktionieren würde.“

Nach Akmans Überzeugung steckt die deutsche Gewerkschaftsbewegung in einer tiefen Krise. Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben. Von gut 46 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2024 waren gerade einmal rund 12 Prozent – 5,6 Millionen – Mitglied in einer Gewerkschaft. Seit 1991 nimmt die Zahl beständig ab. Verdi konnte zwar zuletzt, im Jahr 2023, einen Zuwachs um 193.000 auf 1,9 Millionen Mitglieder verbuchen. Doch das sind immer noch rund 1 Million Mitglieder weniger als bei der Verdi-Gründung im März 2001. „Wir haben eine echte Krise der Gewerkschaften, eine Vertrauenskrise, eine politische Krise, eine ideologische Krise, eine tarifpolitische Krise und letztlich eine Entfremdungskrise als Organisation gegenüber unserer gewerkschaftlichen Basis“, sagt Akman. „Aber wenn man das anspricht, gilt man schnell als Nestbeschmutzer. So wurde ich auch schon häufig bezeichnet.“

Auf die großen Gewerkschaften, vom Dachverband des DGB bis zu Verdi, scheint das zuzutreffen, woran viele mächtige Organisationen kranken: an der Trägheit des Betriebs und einer gewissen Konfliktscheu. In den strengen Hierarchien ist für Renitenz, für die Rebellion von unten, kaum Platz – was die Organisation noch träger macht. In der Führungsebene von DGB & Co. setzt man anscheinend auf gute Kontakte zur Spitzenpolitik und den Wirtschaftsverbänden – und weniger auf offene Konflikte. […] Akman will das ändern. Er wünscht sich eine stärkere Einbindung von Beschäftigten aus dem Ausland, den Migrantinnen und Geflüchteten, die hierzulande häufig in prekären Verhältnissen schuften müssen. „Die haben in ihren Heimatländern oft schon jede Menge Konflikte erlebt. Mit diesen Erfahrungen sind sie eine echte Chance für eine Erneuerung der Gewerkschaft.“ Doch in der Mitgliederstruktur von Verdi spiegele sich das bislang kaum wider. Auch wünscht er sich eine internationale Solidarisierung der Arbeiterschaft entlang der weltweit verzweigten Lieferketten. Wenn die Arbeiter: innen im Sweatshop in Bangladesch streiken, sollten das die Beschäftigten in den hiesigen Modegeschäften auch tun, fordert er.

Wie man Arbeiter: innen mobilisiert, damit hat Akman viel Erfahrung. Als 21-Jähriger, Mitte der 1990er-Jahre, arbeitete er in der Buchhaltung des Fleischkonzerns Tönnies, der inzwischen bundesweit bekannt ist für widrige Arbeitsbedingungen. „In der Nachtschicht arbeiteten im Schlachthof vor allem Menschen aus Afrika, tagsüber vor allem Menschen aus der Türkei“, erinnert er sich. Akman und ein paar Mitstreiter: innen wollten die Beschäftigten organisieren, sie verteilten unerlaubterweise Flugblätter. Darauf habe man sein Büro durchsucht und ihn aus dem Job gedrängt.

Anschließend belegte Akman Kurse bei der „Akademie der Arbeit“, ab 2002 tingelte er als Funktionär im Verdi-Bezirk München-Rosenheim durch den Einzelhandel in Oberbayern, um bei der Gründung von Betriebsräten zu helfen. Nicht gerade ein Selbstläufer in einem so konservativen Landstrich – vor allem für einen Mann mit einem türkischen Namen.

Akmans Renitenz hat viel mit seiner Herkunft zu tun. Aufgewachsen ist er im Haus seiner Großmutter in einem Dorf nahe der osttürkischen Stadt Malatya. Es war die Zeit der Militärdiktatur, ohne Presse- und Meinungsfreiheit, mit Massenverhaftungen von Oppositionellen. „Wenn du als Kurde in der Türkei geboren wirst, gehört Widerstand von Anfang an dazu“, sagt er. In seiner Grundschule war es verboten, Kurdisch zu sprechen, er musste Türkisch lernen. Wenn ein Kind etwas auf Kurdisch sagte, gab es 20 Schläge mit dem Lineal auf die Fingerspitzen.

Mit elf Jahren zog Akman dann zu seinen Eltern nach Deutschland. Schon wieder war er gezwungen, eine neue Sprache lernen. „Da habe ich mir gesagt: Von jetzt an entscheide ich selbst, welche Sprache ich noch lerne“, sagt er heute und lacht. Er konzentrierte sich auf den Englischunterricht, schrieb gute Noten. Später, mit 39 Jahren, entschloss er sich, Spanisch und Portugiesisch zu lernen. Er ging für die Organisation UNI Global Union nach Peru, um dort Gewerkschaftsstrukturen aufzubauen. 2016 verhängte die peruanische Regierung ein Wiedereinreiseverbot gegen ihn. Der Vorwurf: Störung der öffentlichen Ordnung und des sozialen Friedens im Land. Auch dagegen ging er gerichtlich vor – und gewann.

Dass sich Akman nicht nur beim Schlachter Tönnies und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sondern bis nach Peru als Störenfried einen Namen gemacht hat, macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. Wenn der Mann mit dem streng gebundenen Pferdeschwanz und dem akkurat gestutzten Vollbart über seine Erfahrungen spricht, über die ewigen Kämpfe mit Unternehmen, aber auch über seine Streitereien mit den eigenen Vorgesetzten, dann funkeln seine Augen. Der Widerstandsgeist, die Renitenz, blitzt dann auf in seinem Blick. Und die Freude am Streit, an der Diskussion, der Auseinandersetzung.«